Wir sind wütend und bestürzt.
Seit über 90 Tagen befindet sich der Klimaaktivist Wolli aus München im Hungerstreik, hat eine Einlieferung ins Krankenhaus hinter sich und sein Gesundheitszustand ist kritisch.
Wenn auch – nach aktuellem Stand – der trockene Hungerstreik bis zum Ende der Woche von ihm und seinen Mitstreitern ausgesetzt wird.
Die Forderungen der unabhängigen Initiative „Hungern bis ihr ehrlich seid“ sind relativ einfach und wenig radikal: Eine Regierungserklärung durch den selbsternannten „Klimakanzler“ Olaf Scholz, in der er anerkennt, dass der Fortbestands der menschlichen Zivilisation durch die Klimakrise gefährdet ist, dass ein Co2-Restbudget nicht existiert, da bereits hunderte Gigatonnen zu viel CO2 in der Luft sind, und die daraus folgende Notwendigkeit einer radikalen Umsteuerung in der Politik. Die Regierung Scholz hat klar gemacht, dass sie den Forderungen nicht nachkommen wird, und in einer Erklärung zur „aktuellen Sicherheitslage“ diesen Mittwoch vor allem rassistische Hetze verbreitet. Zum Thema Klima hat Scholz nur von Vorbereitungen auf die zu erwartenden Katastrophen gesprochen.
Es ist hier erstmal nebensächlich, wie wir zu den konkreten Forderungen und der Aktionsform stehen. Es macht uns vor allem unglaublich wütend, dass dieser Staat, und im Konkreten die SPD und Olaf Scholz, lieber Menschen sterben lässt als ein lächerliches Minimum an Ehrlichkeit zu erfüllen. Es macht uns wütend, dass obwohl die Klimakrise so greifbar ist – zuletzt durch das Jahrhundertwasser vor unserer Haustür – die Politik der Herrschenden sich lieber mit Abschottung und Aufrüstung beschäftigen, als mit der Sicherung unserer Zukunft. Es macht uns wütend, dass Menschen angesichts des Versagens dieses Systems so verzweifelt sind und keinen anderen Ausweg mehr sehen, als ihr eigenes Leben auf diese Weise in die Waagschale zu werfen.
Was die Hungerstreikenden immerhin sehr greifbar machen: In Sachen Klimaschutz können wir uns nicht auf den bürgerlichen Staat verlassen. Denn er wird immer die Interessen der deutschen Konzerne über die der Bevölkerung und der Zukunft der Welt stellen. Eine Welt, in der wir der Klimakrise gemeinsam und solidarisch entgegentreten, kann nur eine Welt sein, in der die Kapitalist:innen nicht mehr die Macht haben, sondern die arbeitenden Menschen.
Warum äußern wir uns?
Wir als Klimagruppe aus München sind besorgt um unseren Freund und Mitstreiter Wolli. Viele von uns kennen ihn seit Jahren und Jahrzehnten, wir standen gemeinsam in München auf der Straße: bei Demos gegen die Klimakrise, gegen Repression, gegen den G7-Gipfel, gegen Arbeitsunrecht und am 1. Mai. Wir wissen, dass er ein außergewöhnlich freundlicher und aufrichtiger Mensch ist, der vollkommen von seinen politischen Zielen überzeugt ist, und alles mit einer großen Entschlossenheit angeht. Die Konsequenz, die er und die anderen auch in diesem aktuellen Kampf zeigen, verdient Respekt.
Und dennoch wollen wir uns an Wolli und die anderen Hungerstreikenden, Adrian, Richie und Titus, wenden: Ihr sagt, der Hungerstreik sei das letzte friedliche Mittel, um für Klimaschutz zu kämpfen. Es ist verständlich, etwas tun zu wollen, was der Dramatik der Klimakrise entspricht. Aber wir brauchen euch. Es macht uns wütend, dass ihr die Gewalt des Systems gegen eure eigenen Körper richtet, während die Klimazerstörer weiterhin unberührt bleiben. Wir wollen uns nicht damit abfinden, dass die Kaltblütigkeit von Politiker:innen und die scheinbare Aussichtslosigkeit der Gesellschaft uns Menschen aus unseren eigenen Reihen raubt. Wir brauchen euch und Alle, die in der sich zuspitzenden Klimakrise ihre Stimme erheben. Gerade wenn alles schlimmer wird, gerade wenn die Temperaturen steigen und die Klassenkämpfe härter werden, brauchen wir Menschen, die nicht so leicht aufgeben. Selbst wenn alle Klimaziele nicht eingehalten werden, auch wenn die Herrschenden die Klimakrise weiter anheizen, es wird weiterhin so vieles geben, für das wir kämpfen müssen: Für eine gerechte Verteilung der Ressourcen, für den Schutz der von der Klimakrise Betroffenen, gegen Abschottung und Nationalismus.
Doch wenn wir unsere entschlossensten und leidenschaftlichsten Kämpfer:innen verlieren, nur um ein Zeichen zu setzen, dann reißt das ein Loch in unsere Bewegung, die angesichts der Angriffe von Rechts, der Repressionen durch den Staat und der immer schrecklicher werdenden Umweltzerstörung doch eigentlich noch viel stärker werden muss. Bitte beendet euren Hungerstreik und lasst uns kämpfen, um das zu retten, was noch gerettet werden kann. Und: Lasst uns weiterhin an der Perspektive einer Welt ohne Ausbeutung von Mensch und Natur festhalten. Wir machen weiter und wollen es mit euch gemeinsam tun.